Blenheim liegt eine halbstündige Autofahrt von Picton entfernt. Nach meiner Ankunft am Sonntag dem 12. Januar habe ich mich sofort auf die Jobsuche begeben. Die Hostels, die ich zuerst angesteuert habe, waren dabei alle nicht besonders hilfreich: “Hier ist eine Webseite für die Jobsuche” oder “Wir haben eine Warteschlange von 10 Leuten für Jobs!” Bei Leeway’s Backpackers, einem gemütlichen Hostel, habe ich sofort von der ursprünglich holländischen Hostel-Managerin Anja Jobideen bekommen und mich zu Hause gefühlt. Leider war aber Sonntag, weshalb natürlich keiner auf meine Anrufe geantwortet hat. Am Montag war ich dann etwas zu erfolgreich und hatte am Ende des Tages gleich drei Angebote: Zwei in verschiedenen Weingütern und eines in der Talley’s Lebensmittelfabrik, in der Gemüse und Grünschalmuscheln für den Endverbrauchermarkt vorbereitet und verpackt werden. Ich habe mich dann wegen der Regelmäßigkeit und den angemessenen Arbeitszeiten1 für einen Job als Muschelöffner entschieden. Die Weinsaison dieses Jahr sei auch auf der Südinsel etwas langsam, da der Sommer auf sich warten lies.
Nach einer nervigen PowerPoint-Präsentation und der Unterzeichnung des Vertrags ging es auch recht zügig los. Erst muss man sich einen Overall anziehen, außerdem Gummistiefel, eine Schürze, ein Haarnetz, Bartnetz, Schutzhandschuhe und darüber verschiedene Plastikhandschuhe für die linke und rechte Hand. Die Handschuhe müssen dann noch desinfiziert werden, bevor man die Muscheln anfassen darf. Für das Putzen zieht man sich außerdem noch wasserabweisende Kleidung an, die wie ein Strahlenschutzanzug aussehen.
Das Knacken von den frisch gekochten Muscheln ist dann auch nicht besonders schwierig: Nach dem Aufnehmen der Muschel vom Band wird zuerst ihr Bart abgezogen, dann die Muschel leicht gedrückt, sodass man mit dem Messer den Adduktor-Muskel möglichst nah von einer der beiden Schalen abkratzen kann. Die Muschel öffnet sich dann ganz leicht und die leere Hälfte wird weggeschmissen. Noch einmal überprüfen, ob das Fleisch gut aussieht oder sich eine Erbsenkrabbe eingenistet hat, dann ist das Produkt zum Waschen und Verpacken fertig: eine Grünschalmuschel in der Halbschale.
Je mehr man übt, desto schneller wird man damit: Schon am fünften Arbeitstag habe ich in den acht Stunden 3226 Muscheln2 geöffnet, die schnellsten schaffen um die zehn Tausend in der gleichen Zeit. Diese sind aber meist darin total geübt, da sie von den pazifischen Inseln kommen und schon seit Langem Muscheln öffnen. Seinen Fortschritt im Vergleich zu allen anderen kann man in einer App verfolgen, die aus der Arbeit eine Art Spiel macht, bei der man den High-Score knacken möchte…
Wir haben zweimal am Tag bezahlt 20min Pause, die aber meist auf 30min wegen der ganzen Hygiene-Prozedur ausgedehnt werden, und eine unbezahlte halbstündige Pause, die praktischerweise am Ende der Schicht liegt, sodass man etwas früher heim kann. Gelegentlich gibt es aber auch Probleme mit den Maschinen oder Verzögerungen beim Kochen, sodass wir dann etwas verschnaufen können bis die Maschinen wieder laufen.
Beim Hostel habe ich mich im Garten schön als einziger im Zelt eingerichtet, direkt an meinem Auto und in Ruhe in einer Ecke. Ich habe sogar im Zelt WLAN. Das Hostel hat zwei Häuser, eins voller Deutschen und ein paar Leuten aus dem Rest der westlichen Welt, das andere Haus ist mit diversen Asiaten gefüllt, die ihr Studium in Neuseeland abgeschlossen haben und nun total lange Arbeiten um viel Geld mit nach Hause zu bringen. Mein Zelt ist am zweiten Haus. Ich verbringe die meiste Zeit aber im ersteren.
Sechs Wochen später…
Das wars. Gestern hatte ich endlich meinen letzten Tag bei Talley’s. Es war wirklich anstrengend neun Stunden an sechs Tagen pro Woche zu arbeiten. Nur am Sonntag frei zu haben, wäre mir auf Dauer zu wenig. In der letzten Woche fand ich persönlich die Langeweile am Schlimmsten an der Arbeit: Ich musste über das monotone Öffnen der Muscheln gar nicht mehr nachdenken und war daher die ganze Zeit in Gedanken. Nach der fünften Woche sind mir die Themen ausgegangen. Ich habe jetzt aber auf jeden Fall genug angespart für meine restliche Reise in Neuseeland. Am Ende habe ich übrigens an guten Tagen etwa 7000 Muscheln geöffnet.
Auch sehe ich jetzt Jobs, bei denen man den ganzen Tag steht, in einem anderen Licht: Füße sind zum Laufen gemacht, nicht zum ständigen Stehen. In der zweiten Woche habe ich mich zwei Tage krank melden müssen, da ich auf eine Biene getreten bin und dann am nächsten Tag meine Füße daher ungleich belastet habe, weshalb der gestochene angeschwollen ist…
Hostel
Bei der Arbeit hat man immer nur in den Pausen kurz mit ein paar Leuten reden können, im Hostel lief es dafür aber umso geselliger ab: Jeden Abend saß ich im Wohnzimmer von Leeway’s Backpackers und habe mit den Leuten gequatscht, Gesellschafts- und Videospiele gespielt, Bier getrunken oder Filme gesehen.
An einem Abend haben wir zum Beispiel den preisgekrönten Film Joker gesehen, in dem es um die Herkunft des Erzfeinds von Batman geht. Ich war erst skeptisch, dann aber begeistert: Es ist total glaubwürdig dargestellt, wie ein psychisch Kranker langsam durch die Gesellschaft in eine Rolle hineingedrängt wird… Auch immer ein Highlight nach einem anstrengenden Arbeitstag war People just do nothing, eine Mockumentary über ein paar Drogenabhängige, die einen Piraten-Radiosender in West-London betreiben.
Ich hatte mich ja dagegen entschieden, meine Nintendo Switch-Konsole mitzunehmen, so jedoch nicht Liam aus Kanada. Wir hatten sehr viel Spaß daran, Smash Bros und Mario Kart zu spielen, in dem ich dank des ganzen Trainings mit Muriel allen zeigen konnte, was es heißt gut in dem Spiel zu sein!
Julius aus Berlin hat ein Pen & Paper-Spiel mit den How to be a hero-Regeln eingerichtet, in dem Josh, Paul und Felix aufklären mussten, wie die Pest im mittelalterlichen Hamburg übertragen wird. Dabei war ich Zuschauer und Zuhörer, weil ich leider bei der Arbeit zwei Überstunden machen musste.
Nach einiger Zeit waren diverse Leeway’s-Traditionen etabliert: Ruft eine Person “Pizza boys!” und eine andere antwortet auf gleiche Art, so wird eine riesige Sammelbestellung Pizzen aufgenommen und von einem von uns bei Domino’s Pizza abgeholt. Es kamen meistens Bestellungen von mehr als zehn Pizzen zusammen! Oft gab es auch gemeinschaftliche Fahrten zum Pak’nS(l)ave.
Kulinarisch gab es nicht ganz so oft tolles Essen wie in Pukenui mit den Blaubeer-Kollegen oder Debbie und Graham. Wenn aber etwas in Leeway’s gemeinsam gekocht wurde, dann richtig: Einmal haben wir alle Burger gegrillt. So eine Mahlzeit ist einfach für eine Gruppe zuzubereiten. Alleine braucht man dafür viele Zutaten, die man dann nicht aufgebraucht kriegt.
Zu der Abschiedsfeier des Langszeitbewohners des Hostels, Murat, der neun Monate in Blenheim gelebt hat, gab es ein Potluck, also ein Essen, zu dem jeder etwas beisteuert. Mit Talea habe ich Kalten Hund zubereitet und einen Nudelauflauf gekocht. Fernando hat einen köstlichen apple pie mit der Aufschrift “Leeway’s” zubereitet, dem aber von Marios gekauftem Kuchen die Show gestohlen wurde: Auf ihm stand in geschnörkelter Schrift “Fuck you, Murat!”, was erstaunlich oft gesagt wurde, da Murat sich immer in alles auf eine freundschaftliche Art einmischt. Alle, Murat eingeschlossen, fanden das sehr witzig. Ihm ist der Abschied so sehr schwergefallen, dass er ein paar Mal um noch ein paar Tage verlängert hat.
Musikalisch gibt es ein Lied, das ich für immer mit meiner Zeit in Blenheim und den coolen Leuten, die ich dort getroffen habe, verbinden werde: Operator von Låpsley. Das Lied hat immer für gute Stimmung gesorgt, insbesondere Shannon hat dazu mitgesungen. Je fortgeschrittener der Abend, desto lauter.
Schließlich wurden die Parties stets in die Shed verlegt, den Partyschuppen von Leeway’s, in dem es eine weitere gemütliche Sofaecke und einen Tischtennistisch gibt. Durch Wandmalereien, die über die Jahrzehnte entstanden sind, und Lichterketten war es dort immer bunt und gemütlich zugleich.
An einem Abend waren wir in der Yard Bar, einem von zwei Clubs in Blenheim, und, oh mein Gott, war es enttäuschend. Teure Getränke, langweilige Musik und keiner am Tanzen… Wahrscheinlich waren wir zu früh dort, Blenheim ist aber auch jetzt nicht wirklich für sein Nachtleben bekannt. Die Shed des Leeway’s ist übrigens der am höchsten bewertete Nachtclub in Blenheim. Ich glaube das sagt schon alles.
Eine Sache, die ich etwas schade fand, war, dass es relativ strikte Grüppchenbildung gab. Es gab sehr viele junge Deutsche, die gerade ihr Abi gemacht haben, die zueinander gehalten haben, und Englisch nur wenn nötig gesprochen haben. Sie waren alle total nette Menschen, ich habe den Altersunterschied von mir zu denen aber doch deutlich gespürt… Die Anderen, größtenteils Englisch-Muttersprachler, waren für mich interessanter und habe daher lieber mit denen Zeit verbracht. Es gab aber auch einige Ausnahmen zu dieser Regel.
Für mich hat sich das Leeway’s wie ein Zuhause angefühlt, und die Leute dort wie eine Familie. Ich werde an meine Zeit dort immer gerne zurückdenken und die dort gefundenen Freunde vermissen. Vielleicht werde ich ein paar von denen ja mal wiedersehen, Murat hat nach Istanbul eingeladen und eine Reunion in Amsterdam war auch im Gespräch…
Wochenendausflüge
An den Wochenenden habe ich immer darauf geachtet, etwas Nettes zu unternehmen, auf das ich mich in der Arbeitswoche freuen konnte. So waren wir mehrmals am Strand von White’s Bay, an dem wir Frisbees geworfen haben, geschwommen sind, und Musik gehört haben. Am Waitangi-Tag, meinem ersten bezahlten Feiertag, dem Gründungstag Neuseelands, waren wir auch am Strand. Danach habe ich mit Liam noch eine leicht enttäuschende Glühwürmchen-Höhle und eine beeindruckende Felsformation in Monkey’s Bay erkundet.
An einem Sonntag habe ich mir ein Fahrrad ausgeliehen und bin am Fluss in Blenheim entlang zu den Wither Hills gefahren. Ich habe gemerkt, dass ich das Fahrradfahren vermisse und auch schon etwas von meiner Kondition verloren habe. Von dort hatte ich einen tollen Ausblick über das Tal, in dem Blenheim liegt: Weinfelder so weit das Auge reicht. Dann ist mir aber aufgefallen, dass das Rad einen Platten hatte. Ich musste es für mehr als eine Stunde durch die ganze Stadt schieben. Immerhin habe ich von Anja sofort mein Geld zurückbekommen.
Meeressäuger in Kaikoura
Der mit Abstand tollste Ausflug aber war mein Wochenend-Trip nach Kaikoura, wo ich von Samstag auf Sonntag mal wieder in einem richtigen Bett statt meinem Zelt geschlafen habe. Auf dem Weg dorthin in meinem Auto habe ich immer wieder angehalten, zum Beispiel an einem verflucht wirkenden See oder einer Seehundkolonie.
Der Hauptgrund meiner Reise nach Kaikoura war jedoch ein anderer: Schon 1000m vor der Küste ist das Meer dort bis zu 800m tief. Daher kommen dort küstennah viele Wale vor, was die Stadt früher zu der Walfang- und heute zur Walbeobachtungs-Hauptstadt Neuseelands macht.
Für $150 hatte ich eine Walbeobachtungstour auf einem Boot gebucht; wenn die Tour nicht erfolgreich wäre, würde ich mein Geld zurückbekommen. Mit einem Bus wurde man dann von dem Gebäude für den Check-In und Geschenkladen zu der kleinen Marina im Süden von Kaikoura gebracht. Dort fuhren wir auf einem sehr schnellen Katamaran auch gleich los.
Kurz nach Beginn steuerten wir plötzlich hart Backbord. Der Tourguide hatte einen Albatross entdeckt, der um ein Fischerboot kreiste. So konnte man erahnen, was für eine riesige Spannweite dessen Flügel haben. Kurz danach haben wir einmal kurz einen Hector-Delphin gesehen, die es nur um Neuseeland gibt. Hector-Delphine ist eine der kleinsten Delphin-Arten.
Über Funk kam dann eine weitere Beobachtung rein: Direkt vor der Küste drehte ein Buckelwal entspannt ein paar Runden. Er schien gerade etwas Pause zu machen, tauchte in dem relativ flachen Gewässer immer für nur eine Minute und verbrachte dann etwa zwanzig Sekunden an der Oberfläche. Wir haben ihn sicherlich dreißig mal abtauchen sehen. Jedes Mal mit einem guten Blick auf seine Schwanzflosse.
Gelegentlich stand der Wind so, dass man seinen Atem gerochen hat: Es roch stark nach Verwesung, Methan und Schwefel zugleich…Ich fand, dass wir etwas zu viel Zeit an diesem einen Wal verbracht haben; etwas weiter draußen seien wohl Pottwale unterwegs gewesen. Leider war die Zeit dann aber schon fast um.
Auf dem Rückweg haben wir noch eine Schule Delphine gesehen.Für mich als jemanden, der noch nie im Leben einen Wal gesehen hat, hat sich die Tour trotz des relativ hohen Preises gelohnt. Mir wird die Erinnerung definitiv mein ganzes Leben erhalten bleiben. Es hat sehr gut getan mit diesem Trip die Batterien mal wieder etwas aufzuladen, sodass ich in der folgenden Woche voller Energie zurück zur Arbeit gehen konnte.