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Ungezähmt, vertikal, westlich

Bei Neuseeland Westküste kann man sich nicht langweilen: tolle Wellen, Gletscher, Pferderennen und seltsames Essen...

Langsam quält sich mein mit Essen und Campingkram vollgeladenes Auto die steile, sich windende Straße des Gebirgspasses hoch. Durch die Südalpen ist die Westküste Neuseelands ziemlich abgelegen vom Rest der Insel. Dementsprechend wenig Menschen leben auch dort: Die Westküste hat eine sehr geringe Bevölkerungsdichte. Das sommerliche Gelb und Braun der Tasman-Region wird langsam durch das satte Grün der Küste abgelöst. Schließlich biege ich um eine Kurve und vor mir liegt das Meer.

Ein typischer Abschnitt der Küste

Mein erstes Ziel an der Westküste war Westport; an sich eine eher unspektakuläre Stadt, allerdings mit einigen schönen Ecken und guten Surf-Stränden. Nach einer kleinen Wanderung zu einer Seehundkolonie und durch das Dorf, beschloss ich eben jenes hier zu lernen. Nach einem kurzen Preisvergleich buchte ich einen Surf-Kurs in Bazils Hostel und Surfschule. Wenn man dort für fünf Tage übernachten würde, bekäme man den Surf-Unterricht gratis; da ich aber nur kurz und in meinem Zelt bleiben wollte, hätte sich das für mich nicht gelohnt.

Im Zelt vor dem Hostel schläft es sich immer sehr gut und man spart auch noch gut die Hälfte der Kosten.

Dieses Hostel ist teil der Route von Kiwi Experience, einem Anbieter von durchgeplanten Busreisen durch ganz Neuseeland. Erst war es im Hostel angenehm ruhig, doch dann kam eine ganze Busladung gut gelaunter Leute an, die das Hostel belebt haben. Ich habe an dem Abend mit einigen Leuten geplaudert, von denen einige mit mir morgen den Surf-Kurs besuchen würden.

Der Kurs lief dann auch ziemlich gut: Nach ein paar Übungen auf dem Trockenen gingen wir recht zügig im Neoprenanzug ins Wasser. Der Ablauf ist nicht sonderlich schwierig: Sieht man eine Welle, die geeignet aussieht, das heißt für Anfänger eine gleichmäßige, weiß aufgeschäumte Wand, dreht man das Board genau senkrecht zur Welle, legt sich drauf und beginnt zu paddeln um schon etwas Schwung zu bekommen. Hat die Welle einen erfasst, springt man zunächst auf einen Fuß und zieht dann den zweiten nach. Das Aufspringen ist der knifflige Teil, nach ein paar Stunden habe ich es dann aber doch einige Male geschafft. Einmal habe ich mich aber besonders doof angestellt und mein zu den Wellen parallel stehendes Brett unters Kinn geschleudert bekommen…

So gut sah das bei mir bestimmt auch aus.

Am nächsten Tag sah ich mir die Profis mal etwas beim Surfen an. Das sieht alles so leicht bei denen aus, jedoch habe ich auch gesehen, dass für sie das Aufspringen weiterhin der schwierigste Teil ist.

Danach ging es zu der Trabrennbahn von Westport: Heute war der hiesige Pferderenntag! So etwas habe ich auch noch nie gesehen. Ein Großteil der Bevölkerung versammelt sich in den Feldern um die Bahn, grillt, trinkt Bier und verfolgt die Rennen, auf die natürlich gewettet wird. Hierzu hängen überall Fernseher, auf denen die aktuellen Gewinnquoten angegeben werden. Ich habe auch ein bisschen auf ein paar Pferde gesetzt, aber nur verloren…

Pferd Nummer 9 “Build a Bridge” hier noch in Führung, leider aber nicht mehr nach einer Runde am Ziel

Ich finde es beeindruckend, wie laut das Trampeln der Hufe auf dem Boden ist.

Die eigentlichen Rennen liefen dann leicht unterschiedlich ab, mal wurde aus einem Fast-Stillstand gestartet, andere Male fuhr ein Wagen voraus, an dem eine bewegliche Startbarriere befestigt war. Die Rennen waren meist um die zweieinhalb Kilometer lang, also etwas mehr als zwei Runden um die Bahn. Es war spannend zu sehen, was für einen hohen Stellenwert solche Rennen hier haben.

An der Westküste gibt es im Großen und Ganzen eine Straße: Highway 6. Auf eben dieser Straße ging es weiter nach Süden. Pünktlich zur Hochwasserzeit, kurz vor Sonnenuntergang kam ich an Punakaiki an, den sogenannten Pancake Rocks, da die Felsformation, die durch geschichtete Ablagerung von abgestorbenen Meereslebewesen entstanden ist, aussieht wie gestapelte Pfannkuchen. Die raue See um- und durchspült diese Felsen und legt so immer mehr von ihnen frei. Ist der Wasserstand besonders hoch durch Flut, so spritzen die Wellen spektakulär durch die Felshöhlen hoch. Man nennt das ein Blowhole oder Blasloch des Felsens.

Wer kriegt Appetit auf Pfannkuchen?

Die Blaslöcher sieht man sich am Besten bei Flut an.

Nach weiterer Fahrt nach Süden schlug ich dann mein Zelt in der Nähe von Hokitika im Mondlicht auf, was das Ganze etwas spannender gemacht hat. Dort hatte ich günstige Tickets für das 31. Hokitika Wildfoods Festival ergattert. Auf dem Festivalgelände gab es eine Bühne auf der den ganzen Tag über recht gute, unbekannte Bands aus Neuseeland und der restlichen Welt gespielt haben. Die Bühne war aber nicht die Hauptattraktion, sondern die vielen Essensstände, die teils normale, lokale Gerichte und teils seltsames, wildes Essen verkauften. Ein paar Köche haben sogar aus der Zubereitung eine Kochshow gemacht. Da die Gerichte an den Ständen günstig oder teils sogar gratis waren, habe ich einiges probiert, von normal bis seltsam:

  • gegrillte Schweinerippchen
  • ein lokales Bier
  • holländisches Süßgebäck
  • etwas Wildfleisch mit Baguette
  • ein Whitebait-Sandwich
  • eine Made in Karamell
  • ein Pukeko-Schnitzelchen 1
  • eine lebendige, fingergroße Huhu-Raupe

Die Raupe wurde aus einem frisch zerhackten, trockenen Holzscheit gezogen und zappelte noch etwas bevor ich kurz und schmerzlos ihr Leben beendete.

Zunächst geschmackslos, nach kurzer Zeit aber Mandel-ähnlich.

Bei dem Festival gab es auch einen Kostümwettbewerb: Besonders beeindruckend war ein Kleid fast komplett aus Pfauenfedern und ein Paar drei Meter breiter, beweglicher Flügel. Frisch zubereitetes Pukeko-Schnitzel

Hokitika nennt sich selbst “cool little town”, was ich erst skeptisch gesehen habe, doch jetzt stimme ich zu: Viele kleine, nette Läden in einer fußgängerfreundlichen Innenstadt und ein schöner, breiter Strand mit viel Treibgut. Daraus wurde zum Beispiel ein großes Schild mit dem Namen der Stadt aufgestellt, Skulpturen geformt oder abends große Lagerfeuer abgebrannt.

Leider habe ich während meiner ganzen Zeit an der Westküste keinen einzigen Sonnenuntergang gesehen, da es zu wolkig war. Immerhin hatte ich aber nur zwei Regentage, sodass ich den berüchtigten Westküstenregen erleben konnte. Wegen der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Südalpen wird der wie in Europa vorherrschende feuchte Westwind von der See die Berge hochgedrückt und regnet daher an der Westküste ab. Auf der anderen Seite der Berge gibt es sehr häufig Föhn, also trockenen Wind, der sich beim Abstieg von den Bergen aufwärmt.

In einem Kasten wurden einige der spannensten Dinge, die am Strand von Hokitika gefunden wurden, ausgestellt. Der typische Westküstenregen

An einem der Regentage fuhr ich weiter an der Küstenstraße nach Süden und fand auf der hilfreichen CamperMate-Karte einen Hinweis auf natürliche heiße Quellen nahe Hari Hari. Im Regen stapfte ich vom Auto den Kiesweg weiter auf den Fluss zu. Schließlich hörte der Weg einfach auf: Eine Überflutung hatte ein großes Stück Land weggespült! So einfach gebe ich aber nicht auf. Über eine Wiese ging es diagonal zu dem restlichen Weg. Schließlich ging es noch durch eine Furt über einen Bach und durch den Busch zum Flussufer an dem geschützt unter Bäumen, hinter Felsen ein kleines, mit Wasser gefülltes Becken lag. Das mussten sie sein und tatsächlich hatte das Wasser etwa Körpertemperatur. So lies es sich im Regen gut aushalten.

“In hundert Metern bitte rechts abbiegen!” Improvisierte, gesprayte Schilder wiesen mir den Weg.

Den anderen Regentag verbrachte ich in einem Hostel (wieder mit Sauna) und den kommerziellen heißen Quellen in dem Dorf am Franz-Josef-Gletscher. Die waren zwar nett, kamen an die Gestrigen einfach nicht ran. In dem Hostel habe ich aber ein paar nette Bekanntschaften gemacht, mit denen man am Abend entspannen und plaudern konnte. Darunter zum Beispiel Andy aus Bayern, Eduard aus Paris, Christoph aus Berlin, Christina aus Leipzig und Jana aus Oberhausen.

Man kann richtig erkennen, wie der Franz-Josef-Gletscher das Tal geformt hat. Ziel erreicht: Lake Wombat

Schließlich kam endlich wieder die Sonne raus. Wir wanderten im Tal links des Flusses auf den Gletscher zu. Schließlich ging es aber nicht mehr weiter: Wegen Überflutung sei der Weg weggespült worden… Stattdessen wanderten wir zu einem sehr netten Gebirgsteich und plauderten weiter. Ich hatte schon ein bisschen Heimweg, als ich mich mit Jana über den Ruhrpott unterhalten habe. Eine typische Sache sei, dass man dort niemals Leute direkt in beispielsweise der Bahn ansehen würde. Das ist mir so noch nie aufgefallen, ich muss aber zustimmen: Wir im Ruhrgebiet sind schon distanziert zu unbekannten Leuten. Ich freue mich auf jeden Fall schon darauf, wenn es bald dorthin zurück zur Familie und Freunden geht.

Nach den beiden kurzen Wanderungen hatte ich noch Lust auf eine längere. Die anderen gingen zurück zum Hostel, während ich mich auf die andere Seite des Tals begab. Dort ging es auf die fünfstündige, schwierige Wanderung entlang der Bergflanke zu einem Aussichtspunkt, der viel näher an dem Gletscher liegt. Und hier hat die Angabe des Schwierigkeitsgrads wirklich mal gestimmt: Es ging über Stock und Stein, durch Bäche direkt an Wasserfällen vorbei, über Hängebrücken, teilweise musste man sogar etwas klettern. Die Mühe hat sich aber gelohnt: Der Blick auf den Gletscher war wirklich atemberaubend.

Die längste Fußgängerhängebrücke, über die ich je gegangen bin Der orangene Pfeil gibt an, wo der “Weg” weitergeht.

Näher kommt man an den Franz-Josef-Gletscher nur per Helikopter, die durchs Tal donnern.

Immer wieder hat man an Schildern gelesen, bis wohin der Gletscher in früheren Jahren noch reichte, also 1850, 1900, 1950, 2000. Wegen des Ende des Sommers auf der Südhalbkugel und wegen des Klimawandels, ist der Franz-Josef-Gletscher soweit zurückgezogen, wie nie zuvor. In der Eiszeit endete der Gletscher übrigens noch im Ozean!

Nach einer kurzen Autofahrt bin ich dann total platt am nächsten Ort angekommen: Ein Tal weiter liegt der Fox-Gletscher. Hier habe ich in einem überteuerten Campingplatz mein Zelt aufgeschlagen und bin schnell ins Gespräch gekommen mit einem Pärchen aus Belgien und einem aus Südtirol, die alle Deutsch-Muttersprachler sind. Spannend war vor allem zu hören, wie das Coronavirus den Alltag in Südtirol verändert hat. Das kommt ja wohl auf Deutschland auch schon zu, in Neuseeland ist von dem Virus aber bisher praktisch nichts zu merken.

Auf dem teuren Campingplatz konnte ich wenigstens meine Wäsche nochmal machen: In dem YHA-Hostel Franz Josef scheinen sich einige Bakterien in der Waschmaschine eingenistet zu haben, weshalb meine kalte Wäsche nach kurzer Zeit anfing zu müffeln.

Mit diesem Instrument konnte man die Berge anpeilen und ihre Namen herausfinden.

Zu dem Fox-Gletscher kommt man zur Zeit noch schlechter als zu dem Franz-Josef-Gletscher: Sowohl der Wanderweg, als auch die Zufahrtsstraße wurden teilweise weggespült. Die Kiesstraße wurde dann einfach zum Wanderweg erklärt, der zum früheren Parkplatz führt, welcher aber immer noch sehr weit vom Gletscher entfernt ist. Das war schon eine leichte Enttäuschung. Jedoch habe ich eine nette Wanderung um Lake Matheson gemacht, in dem sich die Berge schön spiegeln können. Von weiter weg konnte man auch gut erkennen, wie groß der Gletscher trotz der Wärme noch ist, der umgeben von den höchsten Bergen Neuseelands ist, darunter Mount Cook und Mount Tasman. Danach gab es noch einen leckeren Cappuccino. Ich bin dort übrigens Jana und Christina nochmal über den Weg gelaufen, für die beiden geht es auch nach Süden. Vielleicht trifft man sich ja nochmal, auf der Südinsel kommt das erstaunlich häufig vor, da es nur so wenige Straßen gibt, die man bereisen könnte.

An der Küste beim Fox-Gletscher, am Strand, gab es einen netten DOC-Campingplatz, der mir sehr gut gefallen hat. Wenn ich noch etwas fitter nach der langen Wanderung gewesen wäre, hätte ich hier mein Camp aufschlagen sollen. Egal, stattdessen habe ich mich dort etwas in die Wellen gestürzt und die Lagune erkundet.

Typische Straße durch den Regenwald Typische Straße auf die Berge zu Typische Straße an der Küste

Schließlich ging es aber wieder weiter, über die kurvige Straße, entlang der Küste und dann zwischen den Bergen durch. Langsam wird das Grün immer weniger, die Landschaft sieht wieder trockener aus. Passend verabschiedet sich die Westküste noch mit einem Wasserfall, der in anderen Regionen eine Top-Attraktion gewesen wäre. Ich bin immer wieder davon überrascht, wie abwechslungsreich dieses Land ist. Die Westküste hat mich sehr beeindruckt, jetzt bin ich aber gespannt, wohin es als Nächstes geht.


  1. Pukekos sind kleine, taubengroße, schwarz-blaue, wilde Vögel mit langen Beinen, die zwar in der Saison gejagt aber nicht verkauft werden dürfen. Viele Neuseeländer zählen sie zu den einheimischen Schädlingen, da sie einfach alles anknabbern. ↩︎